Lorenz Hemicker - Mein Großvater der Täter

 REZENSION


Eigenerwerb

Das Buch ist kein leichter Stoff – aber wie könnte es das auch sein? Wenn es um die Verbrechen der NS-Zeit geht, ist nichts leicht. Und doch ist es wichtig. So wichtig. Ich werde nie aufhören zu glauben, dass wir diese Geschichte nicht vergessen dürfen – und vor allem nicht verdrängen.

Gerade deshalb hat mich Mein Großvater, der Täter so interessiert. Ich habe mich oft gefragt, wie es wohl ist, wenn man selbst zur Familie eines NS-Täters gehört. Was macht das mit einem? Wie lebt man mit diesem Erbe? Lorenz Hemicker stellt sich genau diesen Fragen – und zwar sehr persönlich. Er ist der Enkel eines Mannes, der in Rumbula mitverantwortlich für das Ausheben der Massengräber war. Gekannt hat er ihn nie. In der Familie wurde darüber geschwiegen.

In seinem Buch begibt sich Hemicker auf Spurensuche: Er recherchiert in Archiven, spricht mit Historiker:innen, trifft Überlebende, besucht die Gedenkstätte vor Ort – und teilt seine Erkenntnisse mit uns. Es ist ein Weg voller Fakten, Dokumente, Zahlen – teilweise recht trocken, gerade für jemanden wie mich, die sonst nicht so viele Sachbücher liest. Und doch war ich oft bewegt, erschüttert, betroffen.

Am eindrücklichsten fand ich die Passagen, in denen der Autor selbst an den Orten der Verbrechen ist. Seine persönliche Auseinandersetzung, die Zerrissenheit zwischen dem "Opa", von dem in der Familie erzählt wurde, und dem Täter, der in den Dokumenten auftaucht – all das kommt sehr ehrlich und eindrucksvoll rüber. Auch sein Ringen mit den eigenen Schuldgefühlen und der Frage, ob man selbst Verantwortung trägt für das, was ein Vorfahr getan hat, hat mich sehr beschäftigt.

Es ist kein Buch, das man "einfach mal so" liest. Aber es ist ein wichtiges Buch. Ich finde es mutig, dass der Autor sich dieser Vergangenheit stellt – und das öffentlich. Für mich war es ein Anstoß, selbst weiterzulesen, nachzudenken, zu hinterfragen. Genau das sollten gute Sachbücher tun.



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