Mairi Kidd - The Specimens
REZENSION
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Eigenerwerb |
Wenn mich eine historische Begebenheit begeistert, kann ich mich völlig darin verlieren. Dann recherchiere ich alles bis ins kleinste Detail, lese, schaue Dokus, und möchte einfach alles wissen. Wären meine Schulstunden damals so gestaltet gewesen, hätte ich wahrscheinlich nur Einser geschrieben.
Genau so ging es mir im Urlaub in Edinburgh: Dort bin ich auf die Geschichte der Westport-Morde gestoßen – also die von William Burke, William Hare und Dr. Robert Knox.
Kurz zusammengefasst: Burke und Hare waren zwei irische Einwanderer im frühen 19. Jahrhundert, die in Edinburgh lebten. Da damals großer Bedarf an Leichen für den anatomischen Unterricht bestand, begannen sie zunächst, Verstorbene an den Anatomen Dr. Knox zu verkaufen. Doch bald reichte das nicht mehr – und sie begannen, Menschen zu ermorden, um deren Körper zu Geld zu machen. Insgesamt fielen ihnen mindestens 16 Menschen zum Opfer, bevor sie aufflogen. Burke wurde 1829 hingerichtet, Hare kam durch eine Aussage frei, und Dr. Knox entging einer Bestrafung, verlor aber seinen Ruf.
Ich gebe zu, ich habe eine leicht morbide Faszination für diese Geschichte entwickelt – besonders, weil ich ja am Ort des Geschehens war. Es war, als würde die Stadt ihre dunkle Vergangenheit flüstern.
Zufällig entdeckte ich dann in einem Buchladen „The Specimens“ von Mairi Kidd – ein Buch, das genau auf diesen wahren Begebenheiten basiert, aber aus der fiktiven Perspektive der Ehefrauen von Burke und Dr. Knox erzählt wird. Da über diese Frauen kaum etwas bekannt ist (was ja leider kaum überrascht), konnte die Autorin ihrer Fantasie freien Lauf lassen.
Trotz – oder vielleicht gerade wegen – dieser Freiheit war die Geschichte unglaublich fesselnd. Ich fühlte mich regelrecht in die Zeit zurückversetzt, konnte mit den beiden Frauen mitfühlen und ihre Gedanken und Entwicklungen hautnah miterleben. Mairi Kidd schreibt so intensiv, dass ich mich vollkommen in den Charakteren verloren habe. Besonders beeindruckend fand ich, wie die realen historischen Ereignisse der Geschichte noch mehr Tiefe und Gewicht verliehen.
Auch wenn manches natürlich erfunden ist, empfand ich großes Mitgefühl mit den Opfern und den Frauen, die in dieser düsteren Zeit gefangen waren. Das Buch war für mich eine wunderschöne Mischung aus Fakten und Fiktion, aus historischem Hintergrund und emotionaler Tiefe.
Außerdem mochte ich den authentischen Ton, die schottischen Wörter und Schreibweisen – das alles machte die Atmosphäre noch greifbarer.
The Specimens war für mich die perfekte Ergänzung zu der dunklen, faszinierenden Geschichte, die ich in Edinburgh kennengelernt habe – und eines jener Bücher, die mich noch lange beschäftigen werden.